Andreas Kossert – Freske des Albtraums

Freske des Albtraums
Andreas Kossert*

Die Erfahrung von Fremdheit begleitet uns seit Anbeginn der Menschheitsgeschichte. Fast immer sind die Betroffenen aufgrund von Hunger, Krieg und Gewalt gezwungen, ihre vertraute Umgebung aufzugeben. Über diese Erfahrung schrieb vor ein paar Jahren die Schriftstellerin Olga Tokarczuk, 1962 in Niederschlesien als Tochter vertriebener Polen geboren: «In privaten Erinnerungen, in Familienerzählungen kehrt das Drama mit der Hartnäckigkeit eines Albtraums wieder – zerrissene Familienbande, verschollene Familienmitglieder, verbrannte Dokumente, eine unbestimmte Nostalgie nach den Geburtsorten, die Faszination von Gegenständen, die im Chaos dauerhafter zu sein scheinen als die Menschen und die Erinnerung an sie; das Gefühl der Fremdheit in einer Welt, die man sich erst und immer wieder zu eigen machen muss, ihre Undurchschaubarkeit, und das Empfinden, Unrecht erlitten zu haben.»
Lange Zeit war der europäische Kontinent politisch gespalten und ideologisch hochgerüstet. Erst durch die Öffnung der Grenzen wichen Barrieren, auch diejenigen in den Köpfen. Neue Chancen ermöglichten einen anderen Blick. Mit dem neuen Wissen um das Andere, das einst Fremde, erschien Europa jedoch auch komplizierter. Ideologische Tabus und national einseitige Verengungen fielen in sich zusammen. Erst jetzt wurde vielen klar – eigentlich eine Binsenwahrheit –, wie verschränkt die Geschichte unseres Kontinents war und ist. Genau diese europäische Verschränkung dokumentiert eine außergewöhnliche Neuerscheinung: Zwanzig Jahre nach dem Fall des Eisernen Vorhangs liegt erstmals ein Lexikon der Vertreibungen vor, ein großes enzyklopädisches Projekt.
Von Anfang an konnten die Herausgeber genau jene neuen Chancen in Europa nutzbar machen. «Die moderne Geschichte Europas ist gleich derjenigen Afrikas und Asiens zu wesentlichen Teilen eine Geschichte ethnopolitisch motivierter und zumeist staatlich induzierter Zwangsmigration», resümieren die Herausgeber Detlef Brandes, Holm Sundhausen und Stefan Troebst, das «gilt vor allem für das 20. Jahrhundert». Insgesamt 308 Stichwörter aus der Feder von mehr als hundert europäischen Autoren bieten Einblicke in ein zum Teil bis heute hochgradig vermintes Terrain: Täter und Opfer, staatliche Abkommen, Gesetze und Verordnungen mit unmenschlichen Folgen, betroffene Regionen, ethnische Gruppen sowie Museen und Denkmäler. Auf angenehm unaufgeregte Weise zeigen die Beiträge, dass Zwangsmigrationen ein zutiefst europäisches Phänomen sind. Das gesamte 20. Jahrhundert hindurch galt Vertreibung als legitimes Mittel der Politik, spätestens mit dem Beginn des Ersten Balkankriegs 1912 bis zum Ende der neunziger Jahre in Jugoslawien. Erst die verstörenden Bilder aus dem zerfallenden Vielvölkerstaat schreckten die internationale Staatengemeinschaft auf. Schließlich erfolgte die Ächtung des grausigen Euphemismus der «ethnischen Säuberung», der seit 1992 international üblich war.
Dieses solide Nachschlagewerk zu einem schwierigen Thema, das auch uns Deutsche seit Langem beschäftigt, liest sich gleichzeitig als ideale Ergänzung zum polnischen Atlas Zwangsumsiedlung, Flucht und Vertreibung. Ostmitteleuropa 1939–1959, der von jüngeren Historikern der Universität Breslau herausgegeben wurde (auf Deutsch im Weltbild-Verlag unter dem Titel Illustrierte Geschichte der Flucht und Vertreibung), zu Polen, Juden, Deutschen und Ukrainern auf dem Territorium Vor- und Nachkriegspolens. Nehmen wir das Beispiel Polens, an dem die historischen Kontexte besonders deutlich werden: Vierzig Jahre lang wurde in der Volksrepublik Polen, staatlich verordnet, über die Vertreibung eigener Landsleute aus Lemberg, Wilna oder Wolhynien geschwiegen. Erst nach der Wende durften die Betroffenen von ihrem Schicksal erzählen. Polen erlebte Vertreibungen, Zwangsaussiedlungen und Deportationen seit dem 1. September 1939 und wurde von den deutschen Besatzern als Zentrum des Massenmords an den europäischen Juden gewählt.
Als Folge des Zweiten Weltkrieges mussten auch Millionen Deutsche in den Ostprovinzen, Finnen in Karelien, Ungarn in der Slowakei oder Italiener in Istrien ihre Heimat verlassen. Vor wenigen Jahren sahen wir wieder Vertriebene auf Europas Straßen ziehen. Vertreibung und Vertriebene erlebten eine neue Aktualität. Über Europa hinaus werden gegenwärtig Millionen Menschen aus Darfur im Sudan, aber auch an anderen Orten der Welt vertrieben, vor den Augen der Weltöffentlichkeit.
«Unser Teil Europas hätte ein großes Gemälde verdient», meint Olga Tokarczuk, «der Mensch, der seinen Ort verlassen muss, gibt einen wesentlichen Teil seiner selbst auf, er wird Opfer einer brutalen Amputation. Phantomschmerzen werden ihn bis ans Lebensende quälen.» Europas historische Topografie ist die von Massenmord, von Gewaltherrschaft und Vertreibung. «Eine vielschichtige Freske», meint Tokarczuk, «in der die Pfeile auf den Landkarten Europas… sich in Geschichten über menschliche Schicksale verwandeln… Viele Sprachen müsste sie umfassen, viele Wege, Entfernungen, Grenzen. Tode und Tragödien, Zufälle und Schicksalsfügungen.»
Das vorliegende Lexikon könnte der wissenschaftliche Auftakt sein, eine »Freske«, für eine europäische Erzählung, in die später die Biografien der Betroffenen eingewoben werden. Diese Erzählung kann getrost kontrovers verlaufen, muss nicht stromlinienförmig angelegt sein. Europäisches Aufarbeiten und Erinnern sowie nationales Gedenken müssen sich nicht ausschließen; Grundvoraussetzung ist eine natürliche Offenheit und Neugier, auch den anderen Blickwinkel kennenlernen und verstehen zu wollen. Das vorliegende Opus leistet dazu einen epochalen Beitrag, es ist ein Meilenstein angesichts der Tatsache, dass erst vor zwanzig Jahren die trennenden Grenzzäune niedergerissen wurden.
Dieses Buch macht Mut. In vielen Sprachen unseres Kontinents sollte es Verbreitung finden. Es weist auf die Menschheitsdimension des Heimatverlustes hin und stellt eine enzyklopädische Chronik der Tragödie unseres Kontinents dar.
Traduzione italiana a cura di Giorgio Federico Siboni
L’esperienza dell’alienazione ci ha accompagnato fin dagli albori della storia umana. Quasi sempre coloro che ne vengono coinvolti sono costretti ad abbandonare il loro ambiente familiare a causa della fame, della guerra e della violenza. Di questa esperienza ha scritto alcuni anni fa la scrittrice Olga Tokarczuk, nata nel 1962 in Bassa Slesia, figlia di polacchi sfollati: «Nella memoria privata, nelle storie di famiglia, il dramma è tornato ancora con la tenacia di un incubo – la lacerazione dei legami familiari, la perdita delle persone care, i documenti bruciati, un’indefinita nostalgia per i luoghi nativi, il fascino degli oggetti che appaiono nel caos più durevoli di un popolo e dei loro ricordi, il senso di alienazione in un mondo che si può solo interiorizzare e la sensazione di avere sofferto un’ingiustizia». Per lungo tempo il continente europeo è stato diviso, politicamente e ideologicamente. Solo con l’apertura delle frontiere sono cadute le barriere, comprese quelle della mente. Nuove opportunità hanno attivato una prospettiva diversa. Con la nuova conoscenza dell’Altro, che un tempo sembrava alieno, l’Europa ha tuttavia cominciato a sembrare anche più complicata. Sono crollati i tabù ideologici e con essi la riduzione unilaterale a livello nazionale è caduta defintivamente. Solo ora è diventato chiaro per molti – quella che in realtà è una verità lapalissiana – come l’intreccio della storia del nostro continente sia stato e sia ancora profondo. Proprio tale intreccio europeo è documentato in una pubblicazione straordinaria: venti anni dopo la caduta della cortina di ferro, per la prima volta, va alle stampe un’enciclopedia delle espulsioni forzate, un grande progetto enciclopedico pubblicato da Böhlau: il Lexikon de Vertreibungen.
Fin dall’inizio i redattori sono stati in grado di mettere esattamente in opera le nuove opportunità disponibili in Europa. «La storia moderna d’Europa è – parimenti a quella dell’Africa e dell’Asia – in larga misura una storia etno-politica motivata e spesso indotta da migrazioni forzate causate dal potere dei governi», così riassumono la ricerca i redattori Detlef Brandes, Stefan Holm e Sundhausen Troebst. «Ciò è particolarmente vero per il XX secolo». Un totale di 308 articoli dalla penna di più di un centinaio di autori europei, offrono diverse interpretazioni di tale fenomeno, alcune delle quali sullo spazio di un terreno fortemente minato: carnefici e vittime, trattati tra governi, leggi e regolamenti con conseguenze disumane, regioni coinvolte, gruppi etnici come pure musei e monumenti. In modo scorrevole e pacato, i contributi illustrano come le migrazioni forzate siano un fenomeno profondamente europeo. Lungo tutto il XX secolo, l’espulsione forzata è stata un mezzo considerato legittimo dalla politica: dall’inizio della Prima guerra balcanica nel 1912 alla fine degli anni Novanta in Jugoslavia. Sono state solo le inquietanti immagini della disintegrazione di quello Stato multietnico che hanno finalmente sorpreso la comunità internazionale. Infine, è stato con ciò messo al bando il macabro eufemismo della «pulizia etnica», entrato nella prassi internazionale dal 1992.
Questo solido libro di riferimento, dedicato a un tema difficile che riguarda da tempo anche la Germania, si legge nello stesso tempo come ideale complemento del polacco Altlas Zwangsumsiedlung, Flucht und Vertreibung. Ostmitteleuropa 1939-1959 – opera redatta da alcuni giovani storici dell’Università di Breslavia – che descrive le vicende di polacchi, ebrei, tedeschi e ucraini sul territorio polacco prima e dopo l’ultimo conflitto monadiale. Prendiamo appunto l’esempio della Polonia, dove i contesti storici sono particolarmente chiari: per quarant’anni nella Repubblica popolare polacca, lo Stato ha ordinato il silenzio circa l’espulsione dei diversi connazionali da Leopoli, Vilnius o dalla Volinia. Solo dopo la caduta del Muro di Berlino questi ultimi sono stati autorizzati a raccontare il proprio destino. Dal 1° settembre 1939, la Polonia ha visto trasferimenti forzati e deportazioni, eletta dagli occupanti tedeschi come centro di sperimentazione dello sterminio degli ebrei europei. La Seconda guerra mondiale ha avuto anche milioni di tedeschi profughi dalle province orientali, così come i finlandesi che hanno lasciato la Carelia, gli ungheresi di Slovacchia o gli italiani in Istria. Qualche anno fa abbiamo visto di nuovo sfollati trascinarsi sulle strade d’Europa, sperimentando così una nuova rilevanza del problema. Al di fuori dell’Europa, attualmente, milioni di persone provenienti dal Darfur in Sudan, come pure da altrove nel mondo, vengono allontanati, sotto agli occhi dell’opinione pubblica mondiale.
«La nostra parte d’Europa meriterebbe un grande affresco», ha detto Olga Tokarczuk, «l’uomo che ha lasciato la sua città, ha bisogno di una parte essenziale di sé, è vittima di un brutale amputazione . Il fantasma del dolore lo tortura fino alla morte». L’Europa è la topografia storica di omicidi di massa e di espulsioni costruite dalla tirannia. «Un quadro complesso», prosegue la Tokarczuk, «in cui le frecce sulle mappe d’Europa avrebbero dovuto includere molte lingue, molte strade, distanze, confini […]. Storie di vite umane […]. La morte e la tragedia, il caso, il destino e le coincidenze». Quest’opera appena edita potrebbe costituire l’inizio di un nuovo lessico scientifico, un «affresco» appunto: una storia europea, nella quale sono intrecciate le biografie degli esuli. Questa storia deve essere progettata, non semplificata, costituendo una rigenerazione della memoria, così come la memoria nazionale deve ormai escludere ogni processo di rielaborazione, costituendo invece una naturale apertura alla conoscenza e alla comprensione dell’altro punto di vista. Tale raccolta offre un contributo epocale, una pietra miliare, soprattutto considerato che i confini sono stati abbattuti solo vent’anni. Tale libro è incoraggiante e dovrebbe trovare ampia diffusione in molte lingue del nostro continente, poiché costituisce la dimensione umana fuori dalla sconfitta e fornisce una cronaca enciclopedica della tragedia dell’Europa.
Lexikon de Vertreibungen, Wien, Böhlau Verlag, 2010, pp. 802.
Fonte: «Die Zeit» (Germania), 05/07/10.
* Storico, dal 2001 al 2009 ha lavorato presso l’Istituto Storico Tedesco di Varsavia ed è stato nel 2007 Visiting Professor al Centro studi nazionali e culturali dell’Università Tecnica di Dresda. Dal gennaio 2010 è responsabile scientifico della sezione Esuli presso il Deutschen Historischen Museum di Berlino.